Social-Media-Tag
Social-Media: Chance für protestantische Vielfalt, aber Hasskommentare als Herausforderung
EKHNMirko Drotschmann über seine Erfahrungen als "MrWissen2Go"28.04.2016 rh Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
„Die sozialen Medien bieten die Chance, unterschiedliche Gemeindemitglieder zu Wort kommen zu lassen. Protestantische Vielfalt leben – dazu sind die neuen Medien da“, so brachte Jens Palkowitsch-Kühl in einer abschließenden Diskussionsrunde die Chancen des Medienwandels für die Kirche auf den Punkt. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Evangelische Theologie, Universität Würzburg. Der Wissenschaftler war einer der Referenten der Social-Media-Tagung „one word, one world, one work“ in Dreieich, zu der die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) am 28. April 2016 eingeladen hatte. In einem Service-Bereich finden Interessierte dazu Links, Berichte und Materialien.
Medienumbrüche und Machtverhältnisse
Zu Beginn der Tagung hatte Pfarrerin Margot Käßmann in ihrer Video-Botschaft ermutigt, dass Kirche durch die sozialen Medien auch Menschen erreichen könne, die ihr bisher fern stünden. Dabei erinnerte die Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017 daran, dass vor 499 Jahren die Reformation auch mit einer Medienrevolution verbunden war, „denn ohne den Buchdruck hätten sich Ideen Luthers so nicht verbreitet.“ Palkowitsch-Kühl verdeutlichte anschließend in seinem Vortrag den Unterschied zum gegenwärtigen Umbruch in der Medienwelt: „Der Buchdruck hatte eine zentral gesteuerte Einwegkommunikation begünstig, dadurch wurde eine große Anzahl an Menschen erreicht.“ Ohne Umschweife erklärte er: „Der Buchdruck hat Autoritäten und Machtverhältnisse gefestigt.“ Die gegenwärtige Entwicklung schätzt er so ein: „Die digitalen Medien rütteln am System, unterschiedliche Meinungen können veröffentlicht werden, alle können sich äußern. Heute sind die `Druckmaschinen´ im Besitz der Geistlichen und der Laien.“
Greift die christliche Botschaft in den neuen Medien noch?
Doch die Frage sei, was dies konkret bedeute. „Ist youtube ein neuer Ort der Verkündigung?“ fragte sich der theologische Wissenschaftler. Tatsächlich habe er den Eindruck, dass das Heil heute „moderner, easy und gechillt“ in den modernen Medien versprochen werde und einer großen Konkurrenz unterliege. „Die Technologie liegt auf dem Silbertablett vor uns. Aber greift die christliche Botschaft noch?“ frage sich Palkowitsch-Kühl am Ende seine Vortrages. Im Gespräch wagte er eine Antwort: „Möglicherweise tragen die digitalen Medien dazu bei, dass die Botschaft anders vermittelt wird. Ich kann mir auch vorstellen, dass Menschen an der Botschaft mitwirken können. Die Antwort zeigt nur die Zeit.“
Hatespeach – eine der Herausforderungen der Mehrwegkommunikation
Doch in den sozialen Netzwerken werden nicht nur wertschätzende Gedanken geteilt und mitgeteilt, da geht es auch mit Hasskommentaren hart zur Sache. Und so hatte EKHN-Kirchenpräsident Dr. Volker Jung in seiner Video-Botschaft gefragt: „Sind wir stark genug, uns auch in heftige gesellschaftspolitische Debatten im Netz einzumischen?“Es sei nötig, dass die evangelische Kirche ihre Kommunikationsstrategie weiterentwickele. Tatsächlich wurde während der Tagung deutlich, dass der Rückkanal in den sozialen Medien zur Herausforderung werde und weitere strategische Überlegungen verlange. Pfarrer Martin Diehl aus Egelsbach berichtete: „Bei Flüchtlingsthemen hatte ich den Eindruck, dass eine faire Diskussion nicht möglich war.“ Pfarrer Diehls Erfahrung: „Diese rechten Gruppen schienen eine Strategie zu verfolgen, sie bestätigten sich in ihrer Meinung ausschließlich selbst, für eine weiterführende Diskussion waren sie völlig verschlossen.“
Strategie für Feedbackkultur entwickeln
An dieser Stelle zeigte Julia Althoff vom Mesh Collective eine Option auf: „Gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung wollen wir Handwerkszeug für Jugendgruppen entwickeln, die ein Argumentationstraining und Strategien zur Gegenrede enthalten. Hier ist Bildungsarbeit gefragt.“ Auch die Referentin Erika von Bassewitz, Social-Media-Managerin im evangelischen Medienhaus in Frankfurt, hatte das Thema in ihrem Workshop aufgegriffen. Sie riet, die Social-Media-Kanäle regelmäßig zu kontrollieren, um rechtzeitig zu reagieren. Bei substanzieller Kritik in User-Kommentaren gab sie den Ratschlag: „Beziehen Sie Stellung und zeigen Sie, dass Sie alles daransetzen, den Sachverhalt aufzuklären.“ Grundsätzlich sei wichtig, den Kritikern zuzuhören, sie persönlich ansprechen und dabei respektvoll reagieren - und wichtig: ruhig bleiben. Drohungen hingegen seien fehl am Platz.
Die Geheimnisse der Youtuber
Als weiteres zentrales Thema der Tagung kristallisierte sich die Bedeutung und der Umgang mit Youtube heraus. Heute gehören Youtube-Stars wie Le Floid oder Dagi Bee zu den großen Vorbildern der Jugendlichen und stellen die Mediennutzung auf den Kopf. Laut BITKOM-Studie greifen 73 Prozent der Internetnutzer ab 14 Jahren auf Video-Streams zu. Beliebte Formate sind Comedy, live gespielte Computerspiele, Schmink- und Dekotipps sowie Livehacks (Tricks für den Alltag). Doch Julia Althoff von Mesh Collective betonte: „Youtube ist mehr als Spiele, Schminke und Katzenvideos, es geht auch um Wissen und Bildung.“ Allerdings gebe es in diesem Bereich noch nicht so viele Youtuber. Einer von ihnen ist Mirko Drotschmann alias MrWissen2Go, der im Rahmen seines Vortrages ein weiteres Thema ansprach: „Religiöse Themen funktionieren sehr gut auf youtube. Wer sich aber persönlich als religiös outet, gilt als Freak.“ In seiner Video-Botschaft hatte anfangs allerdings EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm berichtet, dass sich auch angemessen und persönlich über Glauben und Kirche in den sozialen Medien sprechen lässt: "Ich nutze die sozialen Medien, um andere Menschen am Reichtum unserer Kirche teilhaben zu lassen."
Mirko Drotschmann klärte schließlich in seinem Vortrag darüber auf, was neben der Themenwahl hinter erfolgreichen Youtubern steckt:
- Authentizität. Dazu kann gehören, dass die jungen Stars aufgekratzt Süßigkeiten ausprobieren. Ältere Protagonisten in Youtube-Videos sollten nicht im Jugendslang sprechen, sondern ebenfalls authentisch bleiben. So erhalte der Wissenschaftsjournalist Harald Lesch großen Zuspruch.
- Sprache der Jugendlichen sprechen. Die Jugendlichen finden sich in der Kommunikation wieder, die sie an Gespräche von Mitschülern auf dem Schulhof erinnert.
- Humor der jungen Leute treffen.
- Themen aufgreifen, die in den traditionellen Medien nicht vorkommen. Deshalb sind Livehacks angesagt, dort wird beispielsweise erklärt, wie man sein Essen in der Mikrowelle gleichmäßig erwärmt. Auch der Bereich „Gaming“ gehört dazu, hier filmen sich die Youtuber beim Computerspielen.
- Bereitschaft zur Diskussion. Youtuber geben ihren Fans das Gefühl, dass sie ihnen zuhören und antworten ihnen auch.
Newcomer Snapchat
Neben Youtube wurden die Potentiale weiterer Social-Media-Anwendungen diskutiert. „Snapchat gilt derzeit als größter Newcomer“, erklärte Hanno Terbuyken, Portalleiter von evangelisch.de. Laut Angaben des Medien-Unternehmens gebe es weltweit 100 Millionen aktive Nutzer. Bei Jugendlichen gilt es als eine Art Chatmedium, mit dem sich Bilder verschicken lassen, die jedoch kurz nach dem Aufrufen wieder verschwinden. Pfarrer Wolfgang Loest aus der Lippischen Landeskirche schätzt, dass die Jugendlichen sich damit vorwiegend ihre Gefühlslage anhand von Selfies und Smileys mitteilen. Loest hat den Dienst für die Arbeit mit konfirmierten Jugendlichen genutzt, um sie für kirchliche Themen zu sensibilisieren. Gemeinsamt mit ihnen hat er ein Adventskalender-Projekt auf Snapchat gestemmt. Über den Post „Schockierende Fakten über Weihnachten“ habe sich eine gute Gelegenheit entwickelt, mit den Jugendlichen über das Evangelium zu kommunizieren. Pfarrer Loest ist sich sicher: „Hier lassen sich Menschen erreichen, die man sonst nicht erreichen würde, auch Ungetaufte.“
Soziale Netzwerke auf dem Markt der Möglichkeiten
Laut Terbuyken ließe sich auch die Fotoplattform „Instagram“ in die kirchliche Arbeit einbinden. So seien in der katholischen Kirche spezielle Kirchenführungen mit einem Instagram-Walk möglich, bei dem im Anschluss die Teilnehmenden ihre Fotos in der Foto-Community posten. Der Live-Streaming-Video-Dienst „Periscope“ werde laut Terbuyken im kirchlichen Leben Groß-Britanniens genutzt. Dort seien Menschen aufgerufen, Gottesdienste live ins Internet zu übertragen. Weiterhin maß der evangelische Portalleiter dem Messaging-Dienst „Slack“ zunehmende Relevanz bei. Er werde vor allem bei der Bürokommunikation eingesetzt und integriert E-Mails, RSS-Feeds, facebook-Nachrichten und Posts anderer Netzwerke. Auf die Potentiale des „Klassikers“ Twitter für die Gemeindearbeit hatte Andreas Fauth, Chefredakteur der Multimedia-Redaktion der EKHN, hingewiesen. Der evangelische Medienexperte erklärte: „Gemeindearbeit funktioniert gut über persönliche Kontakte. Und über Twitter haben Kirchenmitglieder die Chance, ihren Pfarrer besser kennen zu lernen, beispielsweise über dessen Posts zu Glaubensimpulsen oder Themen, die Menschen gerade bewegen.“ Auf diese Weise könnten die sozialen Medien dazu beitragen, Menschen für den Gottesdienst und das Gemeindeleben zu interessieren. Beispielhaft nannte er hier die Twitter-Seite des Pfarrers Horst Peter Pohl.
WhatsApp ist mittlerweile die soziale Anwendung, welche die meisten Jugendlichen nutzen. Laut Vikar Jan Scheunemann sei dies eine gute Voraussetzung, um den Dienst für die Konfirmandenarbeit einzusetzen. Vor allem bei Terminerinnerungen oder –Änderungen und anderen organisatorischen Informationen sei WhatsApp eine praktikable Anwendung. Nachteilig bei dem Einsatz von WhatsApp sei allerdings, dass damit oft die Eltern bei der Weitergabe von Informationen nicht erreicht werden. Zudem darf offiziell WhatsApp erst ab 16 Jahren genutzt werden. EKHN-Pressesprecher Volker Rahn gab am Rande der Veranstaltung den Hinweis: „Die EKHN hat offiziell den Einsatz von WhatsApp unterbunden, da es massiv gegen die Datenschutzbestimmungen der evangelischen Kirchen in Deutschland verstößt, weil es so tief in persönliche Daten eingreift.“ Die App solle deshalb offiziell nicht benutzt werden. Aber Rahn weiß auch: „Aber wir wissen, dass die Praxis oft eine andere ist, hier trägt jeder Verantwortung.“
Wesentlich sei laut Terbuyken unter anderem, in allen sozialen Netzwerken Richtlinien für den Datenschutz, das Beichtgeheimnis, Urheberrechte und das Recht am eigenen Bild zu beachten. Darauf hatte Hanno Terbuyken hingewiesen.
Die Social-Media-Tagung der EKHN
Praktiker, Profis, Stars der Medienszene sowie über 200 Teilnehmende hatten sich am 28. April 2016 auf dem Hessencampus in Dreieich getroffen. Anlass war die Social-Media-Tagung „one word, one world, one work“, zu der die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) eingeladen hatte.
Mehr als ein Dutzend Referenten hatten praktikable Impulse geben, darunter der Youtube-Profi Mirko Drotschmann alias MrWissen2Go, Marvin Mendel, Macher des Eintracht Frankfurt-Podcasts oder Jens Palkowitsch-Kühl, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich evangelische Theologie an der Uni Würzburg sowie Hanno Terbuyken, Portalleiter von evangelisch.de. Zudem hatte es digitale Grußworte der Reformationsbotschafterin Dr. Margot Käßmann, des Ratsvorsitzenden der EKD, Dr. Heinrich Bedford-Strohm und Hessen-Nassaus Kirchenpräsident Dr. Volker Jung gegeben.
Evangelische Kirche will soziale Netzwerke stärker nutzen
Material und Links zur Veranstaltung
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